“Dieser Krieg ist ein ideologischer Krieg”. Präsident Bush
Beschränken wir uns – um zu vereinfachen, auch wenn wir vielleicht zu sehr schematisieren – auf vier Denker, zwei Sunniten: Qutb und Maududi; und zwei Schiiten: Schariati und Khomeini. Zwei Araber , ein Pakistaner und ein Perser. Ihre Theorien entwickeln sich durch die semantische Transformation einer Reihe von Termini des Korans, mit denen alle Moslems vertraut sind und die sie mit neuem Sinn versehen, einige mit gewissem marxistischen Inhalt und alle mit einer revolutionären Absicht, die wie eine Reaktion auf den Imperialismus des Westens und gegen die pro-westlichen arabischen Regierungen gelenkt werden.
Die islamischen Theoretiker gehen von dem Konzept der Dschahiliyya, der Unwissenheit, aus. Der Koran bezieht sich mit diesem Terminus auf die polytheistische Situation vor dem Predigen Mohammeds, aber sie aktualisieren den Fachausdruck, um sich auf die momentane Situation der Ignoranz und das Fehlen der Ausübung der Riten und der Gesetze des Korans zu beziehen, sowohl seitens der nicht-praktizierenden Moslems als auch seitens der gottlosen Ausländer. Ein wichtiges konzeptuelles Begriffspaar ist das Paar: Hakimiyya-Ubudiyya. Die Hakimiyya ist die Herrschaftsgewalt, die laut des Korans nur Gott gehört, und die Ubudiyya ist der Gehorsam als Folge dieser Herrschaftsgewalt, der absolut sein soll. Der Islam ist eine freiwillige und absolute Unterwerfung unter den göttlichen Willen.
Das politische Problem entsteht, wenn diese “Herrschaftsgewalt” in den Händen eines Ignoranten dschahili liegt. In diesem Fall ist der Herrscher ungerecht, kafir, und die, die ihm ihren Gehorsam versprechen, sind unwürdig, talin. Beide, die Ungerechten und die Unwürdigen sind verderbte und eliminierbare takfir.
Ein weiteres wichtiges Begriffspaar im politischen fundamentalistischen und revolutionären Denken sind die mostadafine, die Enterbten, und die mostakbirine, die Arroganten. Im Koran wird auf die angespielt, die Recht auf Almosen haben, und auf die Reichen, die nicht wohltätig sind. Aber in der fundamentalistischen revolutionären Literatur werden die zwei Ausdrücke mit den marxistischen Konzepten der Kapitalisten und der Proletarier beladen. Das letzte Begriffspaar ist das der Da’wa, die Verbreitung des Guten, und der Dschihad, die Bekämpfung des Bösen. Es sind zwei sichere Wege zum Paradies: die Lehre verbreiten und den kafir bekämpfen. Dieser Kampfgeist hat eine private Lesart des asketischen Kampfes und eine öffentliche Lesart des kollektiven Kampfes als Teil der asabiya, der solidarischen Union des Islams.
Mit diesen wenigen Ausdrücken haben wir genug Zutaten, um eine islamische Revolution ideologisch auszurüsten. Khomeini begründet seine Revolution damit, dass der Schah der Dschahiliyya (der Ignoranz) schuldig ist, und da er die Hoheit (Hakimiyya) innehat, ist er ein kafir (ungerecht und gottlos) und demzufolge verderbt und eliminierbar. Genauso wie seine Anhänger. Außerdem sind diejenigen, die Regierungsposten unter dem Schah besetzen, „anmaßend/Kapitalisten“ und der Rest des Volkes „Enteignete/Proletarier“. Dadurch schafft er es, die bürgerliche mit der proletarischen Revolution zu verbinden; die Händler, die ohne politische Macht und von der Macht ausgeschlossen sind, vereinen sich mit den Jugendlichen ohne Arbeit und Hoffnung auf eine Zukunft, die wirtschaftlich ausgeschlossen sind. Die Konsequenz ist die Iranische Revolution. Es ist verständlich, dass sich nach der Landung von Khomeini am 1. Februar 1979 in Teheran weder die Armee noch die SAVAK (Gemeinpolizei) ihm in den Weg stellt, niemand wollte mit dem Etikett „Unwürdige im Dienst einer ungerechten Macht“ versehen werden. Es gibt eine große Ähnlichkeit zwischen dem fehlenden Widerstand gegen Khomeini 1979 und dem Vormarsch ohne Widerstand der Taliban nach Kabul 1996. Der Grund ist ein doppelter: Keiner will als talin erscheinen, und auf der anderen Seite verbindet das Volk den Islam mit Gerechtigkeit.
Aber der Schah ist nicht der einzige kafir auf dieser Welt. Es gibt andere Herrscher islamischer Länder, die eliminiert werden können und gegen die eine Revolution legitim ist, und diejenigen, die sie unterstützen, sind „unwürdig“, wie u.a. die USA. Aber am schlimmsten war die UdSSR, Invasorin in Afghanistan, und gegen die die Dschihad deklariert wird, mit der Unterstützung von Pakistan und den USA. Die Niederlage der Macht des Schahs im Namen Allahs hat gezeigt, dass die Macht des Ungerechten, sei sie auch noch so groß in materialistischer Hinsicht, nichts gegen die unbesiegbare spirituelle Macht des Islams ausrichten kann. Die Niederlage der UdSSR überstieg die optimistischsten Erwartungen. Die Mudschahidine kehrten siegreich in ihre jeweiligen Länder zurück: Algerien, Marokko, Palästina, Saudi-Arabien, ... und bereit, die Revolution innerhalb und außerhalb ihrer Länder fortzuführen. Wer würde der nächste sein? Wer ist arrogant schlechthin, ein unverbesserlicher Unwissender, der mächtigste und größte kafir (unwissende und gottlose unrechtmäßige Besitzer der Macht), der reichste der „arroganten/Kapitalisten“, der schlimmste der „eliminierbaren“: die USA. Man muss es nur immer wieder in den Koranschulen und in den Freitagspredigten wiederholen und auf Kassetten und in Schmähschriften vervielfältigen, um es weit zu verbreiten, so dass unter den „Enteigneten/Proletariern“ Mudschahidine auftauchen, die des Sieges sicher sind und dazu bereit sind, als Märtyrer ins Paradies zu kommen und gegen das Symbol des „Kapitalismus und den widerrechtlichen Besitzer der Macht“ schlechthin ein Attentat zu verüben: das World Trade Center. Ist es etwa akzeptabel, dass ein ungläubiger Materialist die Hegemonie der Welt übernimmt?
Als Khomeini den Schah als “schuldigen und gottlosen widerrechtlichen Inhaber der legitimen Macht“ anklagte, fehlten ihm die historischen Gründe dazu nicht, die Familie Pahlavi hatte vom Thron des Iran widerrechtlich Besitz ergriffen. Reza Khan gelangte durch einen Militärputsch an die Krone, als er Kriegsminister unter Qavam Saltaneh (der ewige Prätorianeraufstand) war. Er tat das mit der Unterstützung von Großbritannien, das sich seine Erdölinteressen in Masjed Soleyman sichern wollte. Der neue Schah förderte, in Nachahmung von Atatürk, die laizistische Erziehung, als Gegengewicht zum Monopol der Madrasas der Moscheen, gründete 2500 Schulen und verbot, neben weiteren Änderungen zur Modernisierung, den sardari (das traditionelle männliche Gewand) und den Tschador oder das weibliche Kopftuch. Aber er war der letzte Schah, der die große Sünde beging, die großen Besitztümer zu verstaatlichen, um eine Agrarreform herbeizuführen, wo doch die Großgrundbesitzer Ayatollahs waren. Der erste öffentliche Mord, der von einem religiösen Fundamentalisten verübt wurde, ist der Mord am persischen Premierminister Razmar, am Mittwoch den 7. März 1951, als er zur Moschee ging, am Vorabend der Erneuerung des Erdölvertrags des Iran mit der britischen AIOC. Neben den religiösen Motiven der Fundamentalisten gibt es wirtschaftliche und politische. Die Attentate in Madrid wollten einen Regierungswechsel in Spanien herbeiführen.
Handlungen wie die Besetzung des Irak schüren das Feuer der Fundamentalisten, und je länger die Besetzung dauert, um so größeres fundamentalistisches Kapital kann man daraus schlagen, da sich die USA nicht nur als das „arroganteste und mächtigste“ Land zeigt, sondern auch in zwei moslemische Länder eingefallen ist, die Hoheit widerrechtlich an sich gebracht hat und darauf besteht, diese für ihre Interessen zu behalten, und zwar mittels einer Marionettenregierung, und gleichzeitig beweisen ihre Truppen täglich öffentlich vor den Augen der Bevölkerung ihr „Unwissen“ und das Fehlen jeden Respekts vor den islamischen Regeln und Sitten, und zwar mit Handlungen wie Frauen auf der Straße abzutasten oder gewaltsam die Privatsphäre der Häuser zu verletzen, indem sie Mitten in der Nacht Türen einschlagen; demzufolge zeigen sie sich als störrische „verderbte und eliminierbare Personen“, die man bekämpfen und denen man die Dschihad erklären soll. Die Attentate gegen die Besatzungsmächte werden permanent andauern und zu einer Spirale der Gewalt führen, wie die, die mit der Intifada in Palästina losbrach, aber mit mehr Mitteln und ohne die Möglichkeit einer Lösung, so lange die Besatzungsarmee in dem Gebiet bleibt.
Aber das Ziel des Umsturzes sind nicht die USA, sondern Saudi-Arabien. Ein Staat, der nicht als „gottlos“ angeklagt werden kann, so wie der Schah von Persien, noch als „arrogant, der sich nicht um die Armen kümmert“, wo er doch einen großen Teil der Moscheen und der Madrasas auf der ganzen Welt finanziert, und es fehlt ihm auch nicht die dynastische Legitimität und die puritanische Orthodoxie wahabista, aber man kann ihn als „unwürdigen Diener im Dienst eines mächtigen Gottlosen“ anklagen, weil er Vasall des großen „gottlosen unrechtmäßigen Besitzers der Macht“, nämlich der USA, ist. Die nordamerikanische Regierung als „gottlos und mächtig“ anzuklagen, ist so, als wenn man die saudische Regierung als „Diener im Dienste eines Gottlosen“ anklagte. Das Feuer zielt gegen Amerika, aber das Zielfernrohr ist auf Riad gerichtet.
Die Invasoren von Afghanistan und dem Irak bestätigen in der fundamentalistischen Mentalität die widerrechtliche Besitzergreifung der legitimen Herrschaft durch die USA und rechtfertigen die Anwendung der Dschihad gegen sie. Die Fotografien von Abu Ghraib und die Szenen von Guantanamo sind nicht wirklich entlastende Argumente. Wenn man mit der Hilfe Allahs das materialistische Sowjetimperium vernichtend schlagen konnte, dann haben die islamistischen Aktivisten keine Zweifel daran, dass man analog dazu den nordamerikanischen Materialismus schlagen kann. Die Attentate gegen die westlichen Invasoren sind dadurch gerechtfertigt, dass sie „Gottlose sind, die unrechtmäßig die Macht als Invasoren innehaben“, und die Attentate gegen die örtlichen Sicherheitskräfte, die im Dienst der Regierungen stehen, welche von den Invasoren eingesetzt wurden, werden dadurch gerechtfertigt, dass sie „ungerechte Diener im Dienste eines mächtigen Gottlosen“ sind. Es stimmt, dass es jeden Tag mehr Personen gibt, die dazu bereit sind, sich zu opfern und die kafir zu „exekutieren“. Die größten Extremisten geben sich nicht damit zufrieden, die Invasoren des Irak und von Afghanistan zu eliminieren und den palästinensischen Konflikt zu lösen, sondern sie streben danach, ein islamisches Imperium auf der Welt zu errichten, und zwar mit der Hilfe Gottes, denn „der Erfolg gehört den Gläubigen“.
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